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Ella Hummelsteg, auch die Else Kling von Stötteritz genannt, lebt inkognito in Leipzig, haßt Tiere und wäre gern alleinstehend. Ihre Hausfrauenphilosophie erschien wöchentlich in der Tageszeitung junge Welt und in der online Ausgabe der Leipziger Frauenzeitung EVENTuell. Hier gibts einige ihrer Werke. Auf eine Veröffentlichung aller Ella-Weisheiten wird die Fangemeinde jedoch noch ein wenig warten müssen.

 
 

Spielplatz-Soziologie

 

Das Leben ist ein Sandkasten. Klar begrenzt, oben sauber und unten schmierig, jeder kämpft gegen jeden, und es ist immer die Schippe weg, wenn man sie braucht.
Von Faltenrock bis zum Intim-Deo haben die berühmten Bindestrich-Soziologen alles erforscht, was ihnen in den Weg kam. Spielplätze gehören offenbar nicht dazu. Dabei ist so ein Spielplatz ein offenes Buch. Liegt aufgeschlagen rum und gibt alles preis, was man sich sonst in langen freudlosen Stunden in der Unibibo anfüttern muß. Nun sieht man Soziologie-Professoren eher selten zwischen Sandförmchen und Buddeleimern. Dabei sollten sie ihre ganzen Fragebogen und Statistiken wegwerfen ud sich einfach mal ein Stündchen vor den Sandkasten hocken - ich borge gern ein Kind dafür aus. Der Spielplatz spricht die Wahrheit, hier gesellt sich Gleiches zu Gleichem.
Die Kennerin weiß, daß sie sich zunächst vorsichtig nähert. Jeder Spielplatz hat seine Gesetze. Am besten, man lädt das Kind unauffällig an einem strategisch ungefährlichen Punkt ab und lungert dann bißchen rum. Schon bald stellt sich heraus, wo's lang geht. Ob man sich einfach auf die Bank setzen darf oder diese seit Jahrhunderten von ortsansässigen Mütterdynastien belegt sind und man untertänig fragen muß. Frage-Spielplätze sind überhaupt die schlimmsten. Gleich das Kind unter'n Arm klemmen und auf keinen Fall in die Gegend ziehen! Auf Frage-Spielplätzen muß man sich stets anderthalb Meter hinter seinem unternehmungslustigen Sprößling bewegen und für alles, was das Kind berührt, Erlaubnis einholen. Ständig muß man klarstellen, wem was gehört. In Wahrheit gehören nur die Mütter verprügelt, aber das tun deren Kinder später lieber mit Ausländern.
Die Spielplatz-Soziologin schaut sich genau an, wie die Mütter gekleidet sind. Da gibt es einmal jene, die sich in der Erwachsenen-Abteilung bei Peek und Cloppenburg einkleiden. Gutes Tuch, Stoffhosen mit Bluse und am Sandkasten immer ein Plastetütchen unterm Hintern. Die Kinder heißen Karl-Georg oder Rosa-Marie und dürfen nur biologische Reiswaffeln knabbern. Sehen aus und schmecken wie Styropor-Verpackungen. Auf dem proletarischen Spielplatz geht's lustiger zu, hier werden auch schon mal dicke Waden unter Radlerhosen zur Schau gestellt. Die Kinder heißen hier Schennifer oder Kevin und werden den ganzen Tag mit Schokokeksen vollgestopft. Dann gibt es die Spielplätze, vor denen Freundinnen eindringlichst warnen: Da treffen sich die Wessi-Frauen!
Auf allen Spielplätzen aber gibt es die schlimmen Mütter, die mit Schlabberjeans unentwegt im Sand hocken und enthusiastisch Tonnen von Kuchen backen müssen. Deren Kinder sitzen verschüchtert daneben und dürfen noch nicht mal die Schippe selber halten, geschweige denn anderen Kindern über den Schädel ziehen, wie es die Natur gebietet. Noch wissen sie nicht, daß die komische Frau, die gerade wieder ausruft "Oh, mit Schokolade! Den wollen wir doch ganz schnell mal kosten!" auch in den nächsten 20 Jahren nichts anderes tun wird. Das sind die Mütter, die auf jede Klassenfahrt mitreisen und deren Kinder mit 16 auf der Couch sitzen oder vom Völkerschlachtdenkmal hopsen.
Vor Spielplätzen zeigt ein Schild, daß Hunde hier verboten sind. Gleiches gilt für den Mann. Der Fremdkörper betritt am Wochenende das Areal. Er fühlt sich sofort bemüßigt, sportliche Übungen zu organisieren. Der Papa zeigt jetzt mal, wie man auf dem Balken balanciert. Stell dich nicht so an. Wenn sich ihm fremde Kinder nähern, lacht er unsicher. Eigentlich hat er ja mit Kindern nichts am Hut. Am Ende sinkt er erschöpft auf eine streng reservierte Bank und verteilt Bonbons an zuckerfrei ernährte Öko-Bonsais. Auf dem Spielplatz ist es wie im Leben: Der Mann macht alles falsch. Ella Hummelsteg