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Es ist ein Jammer, mit ansehen zu müssen, wieviel kleine Kinder durch die Gegend rennen. Hier auf die Rutsche geklettert, da vom Stuhl gesprungen, zwanzigmal zur Tür und zurück, im Sekundentakt auf einem Bein durchs Zimmer gehopst, ein Purzelbaum digonal über den Teppich - unsereinem wird schon beim Aufzählen dieses Bewegungswahnsinns schlecht.
Dahinter steckt tiefe Tragik. Spätestens mit 13 hört der junge Mensch in der Schule vom
Energieerhaltungssatz. Ihr wißt schon: Energie kann nicht verloren gehen und so. Von wegen.
Mit 13 hat man schon das meiste davon sinnlos verplempert. Ins Leere gepumpt - und das mit
Volldampf. Denn es kann als sicher gelten, daß jeder von uns nur eine bestimmte Menge
davon zu Verfügung hat. Ach, wüßte man das nur mit zwei!
Es schwante mir mit Ende zwanzig, als die Kräfte zu schwinden begannen und ich immer
öfter einen Heimabend auf der Couch einlegen mußte. Als man eine Fernsehzeitung abonnierte
und den Vertrag mit der Kabelgesellschaft schloß. Sich wegen plötzlicher
Bewegungsunfähigkeit ein Auto zulegte. Cluburlaub buchen mußte. Sich im Park auf der
Bank wiederfand - bei den Rentnern.
Das Ganze ist nicht so schlimm, wenn man es wissenschaftlich, energietechnisch begründen
kann. Eigenes Versagen liegt nicht vor - und wenn, dann geschah es im Alter von eins bis
fünf. Man kann es sich also mit seinem Bier und Chips ordentlich gemütlich machen und
darüber sinnieren, warum die Natur das so verdreht eingerichtet hat. Und ob es etwas brächte,
Kinder vier Jahre lang zu knebeln und in Ketten zu legen - eine zugegeben himmlische
Vorstellung -, um sie fit zu machen fürs Alter. Ihnen gewissermaßen ein kleines
Energiesparkonto anzulegen. Damit sie mit 30 noch kraftvoll zubeißen können. Daraus wird
natürlich nichts, da Kinder nicht kantianisch in Vernunftsbegriffen denken. Dafür haben sie
keine Zeit, weil sie immer springen müssen.
Dennoch gibt es Menschen, die ihre Kindheit offenbar reglos im Lehnstuhl - also sehr
vernünftig - verbracht haben. Man erkennt sie an der ewigen Regenjacke, den amerikanischen
Wandersandaletten und der drohend erhobenen Luftpumpe. Damit fuchteln sie einem vorm
müden Gesicht rum, wenn sie Tag für Tag gut gelaunt ins Büro marschieren und allein ihre
bloße gesunde Anwesenheit die anderen Normalschlaffkes daran erinnert, daß sie wieder nicht
die 20 km geradelt sind, bei dem bißchen Regen. Sie können gerade noch die dritte Tasse
Kaffee geschickt verschwinden lassen, während der Gute-Laune-Mensch schon mit einem
dampfenden Kräutertee - selbstverständlich NICHT aus dem Beutel! - aus der Küche getänzelt kommt und fragt, was heute anliegt. Was soll schon anliegen, wenn die Energie gerade mal
noch reicht, um sich eine Gitanes aus der Packung zu fingern?
Ich muß zugeben, daß ich es versucht habe, den Energieerhaltungssatz zu überlisten. Brav des
Morgens mit dem Fahrrad in die Stadt zu trampeln. Der Tritt ging schwer, der Atem auch, und
statt gut gelaunt saß ich verschwitzt und abgekämpft zwischen halbwegs ausgeruhten
Autopassagieren. Mit Mutter Natur ist nicht zu spaßen, deshalb hat sie mir wohl ein besonders
schwergängiges Rad verpaßt. Der Mensch soll lernen, daß er sich bescheiden soll. Wenn alle
ist, ist Schluß. Oder aber - wie meine Großmutter zu sagen pflegte: Was weg ist, brummt nicht
mehr. Und so werde ich ganz bestimmt nicht den großen Fehler aller Frührentner begehen, die
mit 60 glauben, nochmal richtig aufdrehen zu müssen. Nichts schlimmer als Weißhaarige, die
blondgefärbt plötzlich anfangen, Squash zu spielen und mit dem Rucksack durch Thailand zu
ziehen - anstatt gemütlich noch ein paar Jährchen auf dem Sofa auszuharren. Die hätten mal in
Physik besser aufpassen sollen. Dann würden sie sich besser einteilen, was da ist. Statt
Schwachsinn zu verbreiten wie: Man ist so jung, wie man sich fühlt. Wer sowas sagt, sollte
gleich ins Altersheim gebracht werden. Kann ja mit dem Fahrrad hinfahren.
Ella Hummelsteg
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