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Ella Hummelsteg, auch die Else Kling von Stötteritz genannt, lebt inkognito in Leipzig, haßt Tiere und wäre gern alleinstehend. Ihre Hausfrauenphilosophie erschien wöchentlich in der Tageszeitung junge Welt und in der online Ausgabe der Leipziger Frauenzeitung EVENTuell. Hier gibts einige ihrer Werke. Auf eine Veröffentlichung aller Ella-Weisheiten wird die Fangemeinde jedoch noch ein wenig warten müssen.

 
 

Energie

 

Es ist ein Jammer, mit ansehen zu müssen, wieviel kleine Kinder durch die Gegend rennen. Hier auf die Rutsche geklettert, da vom Stuhl gesprungen, zwanzigmal zur Tür und zurück, im Sekundentakt auf einem Bein durchs Zimmer gehopst, ein Purzelbaum digonal über den Teppich - unsereinem wird schon beim Aufzählen dieses Bewegungswahnsinns schlecht. Dahinter steckt tiefe Tragik. Spätestens mit 13 hört der junge Mensch in der Schule vom Energieerhaltungssatz. Ihr wißt schon: Energie kann nicht verloren gehen und so. Von wegen. Mit 13 hat man schon das meiste davon sinnlos verplempert. Ins Leere gepumpt - und das mit Volldampf. Denn es kann als sicher gelten, daß jeder von uns nur eine bestimmte Menge davon zu Verfügung hat. Ach, wüßte man das nur mit zwei!
Es schwante mir mit Ende zwanzig, als die Kräfte zu schwinden begannen und ich immer öfter einen Heimabend auf der Couch einlegen mußte. Als man eine Fernsehzeitung abonnierte und den Vertrag mit der Kabelgesellschaft schloß. Sich wegen plötzlicher Bewegungsunfähigkeit ein Auto zulegte. Cluburlaub buchen mußte. Sich im Park auf der Bank wiederfand - bei den Rentnern.
Das Ganze ist nicht so schlimm, wenn man es wissenschaftlich, energietechnisch begründen kann. Eigenes Versagen liegt nicht vor - und wenn, dann geschah es im Alter von eins bis fünf. Man kann es sich also mit seinem Bier und Chips ordentlich gemütlich machen und darüber sinnieren, warum die Natur das so verdreht eingerichtet hat. Und ob es etwas brächte, Kinder vier Jahre lang zu knebeln und in Ketten zu legen - eine zugegeben himmlische Vorstellung -, um sie fit zu machen fürs Alter. Ihnen gewissermaßen ein kleines Energiesparkonto anzulegen. Damit sie mit 30 noch kraftvoll zubeißen können. Daraus wird natürlich nichts, da Kinder nicht kantianisch in Vernunftsbegriffen denken. Dafür haben sie keine Zeit, weil sie immer springen müssen.
Dennoch gibt es Menschen, die ihre Kindheit offenbar reglos im Lehnstuhl - also sehr vernünftig - verbracht haben. Man erkennt sie an der ewigen Regenjacke, den amerikanischen Wandersandaletten und der drohend erhobenen Luftpumpe. Damit fuchteln sie einem vorm müden Gesicht rum, wenn sie Tag für Tag gut gelaunt ins Büro marschieren und allein ihre bloße gesunde Anwesenheit die anderen Normalschlaffkes daran erinnert, daß sie wieder nicht die 20 km geradelt sind, bei dem bißchen Regen. Sie können gerade noch die dritte Tasse Kaffee geschickt verschwinden lassen, während der Gute-Laune-Mensch schon mit einem dampfenden Kräutertee - selbstverständlich NICHT aus dem Beutel! - aus der Küche getänzelt kommt und fragt, was heute anliegt. Was soll schon anliegen, wenn die Energie gerade mal noch reicht, um sich eine Gitanes aus der Packung zu fingern?
Ich muß zugeben, daß ich es versucht habe, den Energieerhaltungssatz zu überlisten. Brav des Morgens mit dem Fahrrad in die Stadt zu trampeln. Der Tritt ging schwer, der Atem auch, und statt gut gelaunt saß ich verschwitzt und abgekämpft zwischen halbwegs ausgeruhten Autopassagieren. Mit Mutter Natur ist nicht zu spaßen, deshalb hat sie mir wohl ein besonders schwergängiges Rad verpaßt. Der Mensch soll lernen, daß er sich bescheiden soll. Wenn alle ist, ist Schluß. Oder aber - wie meine Großmutter zu sagen pflegte: Was weg ist, brummt nicht mehr. Und so werde ich ganz bestimmt nicht den großen Fehler aller Frührentner begehen, die mit 60 glauben, nochmal richtig aufdrehen zu müssen. Nichts schlimmer als Weißhaarige, die blondgefärbt plötzlich anfangen, Squash zu spielen und mit dem Rucksack durch Thailand zu ziehen - anstatt gemütlich noch ein paar Jährchen auf dem Sofa auszuharren. Die hätten mal in Physik besser aufpassen sollen. Dann würden sie sich besser einteilen, was da ist. Statt Schwachsinn zu verbreiten wie: Man ist so jung, wie man sich fühlt. Wer sowas sagt, sollte gleich ins Altersheim gebracht werden. Kann ja mit dem Fahrrad hinfahren. Ella Hummelsteg