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Ella Hummelsteg, auch die Else Kling von Stötteritz genannt, lebt inkognito in Leipzig, haßt Tiere und wäre gern alleinstehend. Ihre Hausfrauenphilosophie erschien wöchentlich in der Tageszeitung junge Welt und in der online Ausgabe der Leipziger Frauenzeitung EVENTuell. Hier gibts einige ihrer Werke. Auf eine Veröffentlichung aller Ella-Weisheiten wird die Fangemeinde jedoch noch ein wenig warten müssen.

 
 

Pilze

 

Ich wollte schon immer wissen, was das für Leute sind, die Pilze kaufen. Jetzt weiß ich es: Das sind die, welche auch Blau-, Him- und Brombeeren für Geld erwerben. Ja, das gibt es. Vermutlich findet man diese Menschen in Zentren für künstliche Befruchtung wieder. Nicht weil der Verzehr von Pfifferlingen unfruchtbar machte, nein, aber weil sie offenbar gern für Dinge zahlen, die die Natur uns ausdrücklich geschenkt hat.
Also: Hände weg von Pilzkäufern! Das sind keine echten Männer. Echte Männer nehmen schon beim Wort Pilz Witterung auf. Ein uralter Jagdinstinkt regt sich ihnen, läßt sie sagen "Mutti, hol den Weidenkorb" und die alte Juppe überwerfen. Dazu gehört das Hütchen auf dem Kopf - Pilze sammeln niemals ohne Hut! Das macht hitzetechnisch wenig Sinn, denn im Wald ist's kühl, aber wahrscheinlich dient es einer Art von Tarnung. Das Hütchen raunt den Pilzen zu "Ich bin einer von euch, ihr braucht euch nicht zu verstecken!" Frauen sammeln ohne Hut und wahrscheinlich deshalb weniger erfolgreich. Ich vermute seit Jahren, daß die kleinen Racker bei meinem Anblick sofort die eigene Kappe abnehmen und kichernd wieder aufsetzen, wenn ich mich unverrichteter Dinge entfernt habe.
Als Frau gehöre ich in die zweite Reihe der Sammlerrotte, immer ein paar knackende Schritte hinter dem Leitpilzer. Der ist nicht ansprechbar. Er folgt höheren Mächten, heiligen Trieben oder wilden Instinkten - jedenfalls einer Instanz, die zu mir nicht spricht. Man schweigt und schlägt sich gesenkten Blickes durchs Unterholz. Bis ab und an ein unterdrückter Schrei die Stille durchbricht, gefolgt von einem Satz ins Dickicht und glücklichem Grunzen. Raschel, raschel, raschel, immer weiter. Der glückliche Finder robbt jetzt auf dem Boden spiralförmig um die Stelle, an der er fündig wurde. Weiß doch jeder: Wo ein Pilz ist, sind viele. Wenn ihr mich fragt: Eine der Lügen, die sie uns in der Schule erzählt haben.
Begegnen einem andere Pilzsucher, tut man unschuldig und läßt das halbgefüllt Körbchen unauffällig hinterm Rücken verschwinden. Wie - Pilze? Gibt's hier welche? Im Kopf spielen sich gleichzeitig Dramen ab, gegen die ein Spionagethriller ein Dreck ist: Was wissen die anderen? - Natürlich nie soviel wie unser Oberpilzer, der sowieso eine wandelnde Pilzberatungsstelle ist. Falls eins der blinden Hühner in der zweiten Reihe durch eine Verkettung unglücklicher Umstände doch was findet, muß es artig zum Körbchenträger und Herren der Pilze. Der faßt das Corpus Delicti mit zwei Fingerspitzen, falls er nicht schon von weitem fröhlich ausgerufen hat: "Giftig!" oder "Madig!" Sonst zückt er das Messer - nur er hat ein ordentliches Hirschmesser dabei, welches seit Generationen von den Männern der Familie weitervererbt wurde, während wir mit stumpfen Küchenmesserchen marschieren - und setzt an wie weiland Dr. Brinkmann. Wenn er Glück hat, findet er eine Made oder Schimmel oder Ansätze einer schleichenden Pilzkrankheit. Hat er Pech, ist der Pilz ein Prachtexemplar, halbmetergroß, glatt und fest wie ein Babypo und geeignet, eine Kleinstadt mit Proteinen zu versorgen. Nur nicht von ihm gefunden.
Vielleicht ist er aber ein wahrer Sportsmann und der Pilz findet Eingang in den goldenen Schatz der Legenden, die noch Jahre später bei Familienfeiern zum Besten gegeben werden. Dafür, daß die Dinger im Wald rumstehen und einfach gepflückt werden, wird später verdammt viel drüber geredet. Es ist eben eine wahrhaft männliche Kunst, das Pilzesammeln. Beeren hingegen sind Frauensache. Man hat selten über den Fund einer kapitalen Brombeere reden hören. Beim Beerensammeln zerkratzt man sich Arme und Beine, schwitzt wie ein Vieh und muß sich in unmöglichen Positionen durch Dornenhecken zwängen. Nein, es ist keine Freude. Aber immer noch besser als die Dinger kaufen. Ella Hummelsteg