Unterschrift

Ella Hummelsteg, auch die Else Kling von Stötteritz genannt, lebt inkognito in Leipzig, haßt Tiere und wäre gern alleinstehend. Ihre Hausfrauenphilosophie erschien wöchentlich in der Tageszeitung junge Welt und in der online Ausgabe der Leipziger Frauenzeitung EVENTuell. Hier gibts einige ihrer Werke. Auf eine Veröffentlichung aller Ella-Weisheiten wird die Fangemeinde jedoch noch ein wenig warten müssen.

 
 

Beim Deutschen Jugendherbergsverband

 

ist die Welt noch in Ordnung. Schon allein weil in dessen Häusern Mägdelein und Knaben hübsch getrennt voneinander die Häupter betten. Das ist löblich, aber man weiß hier die Geschlechter nicht nur auf das trefflichste zu trennen, sondern auch in ihre Rollen zu weisen. Wer einen Vertrag mit ihm schließt, findet dort beide "Herbergseltern" aufgeführt - unterschreiben jedoch darf nur der Herbergsvater. So ist's Recht! 21. Jahrhundert hin, Gleichstellung her, unsere Jugendherbergen sind Horte von Tradition und Sitte, jawollja.
So ein Herbergsvater ist schließlich eine Vertrauensperson. Früh springt er dynamisch im Silastik-Trainingsanzug über die gebohnerten Gänge und treibt wie weiland Turnvater Jahn das Jungvolk vom keuschen Nachtlager in die Bahnen eines geordneten Jugendlebens (das man in der DDR gern auch als froh bezeichnete). Die Herbergsmutter hat schon die Kittelschürze über- und Jagdwurstscheiben auf Plasteteller geworfen. Vom Frühstück strebt das Jungvolk aus, um wißbegierig auf Naturlehrpfaden die Heimat zu erkunden. Zeit für den Herbergsvater, die Glühbirnen einzudrehen, Doppelstockbetten zu leimen, Parkplätze zu harken und Teekübel zu bewegen. So stellt man ihn sich schließlich vor: das Hämmerchen stets griffbereit, die Wanderkarte gezückt, die Gitarre geschultert und das Rennsteiglied auf den Lippen. Und zwischendurch bestellt er das kleine Stubenmädchen zu sich und will ein klein bißchen Spaß, der Herbergsvater. Die Herbergsmutter dirndelt sich indessen durch die Räume, flickt hier ein blaukariertes Bettuch, putzt da ein Fenster, oder sie brät Buletten für's Abendbrot. Wer wollte da nicht Herbergskind sein, bei solchen Eltern? 
Wer wollte sich da ernsthaft empören über den Jugendherbergsverband? Zumal er konsequent verfährt: Auf sämtlichen Formularen ist nur die Rede vom "Leiter" bzw. "Betreuer" - ebenbürtige Verhandlungspartner für den Herbergsvater. Die Leiterinnen und Betreuerinnen können derweil mit der Herbergsmutter Kartoffeln schälen und sich über Menstruationsprobleme und Kinderaufzucht unterhalten.
Grundfalsch wäre es, den Deutschen Jugendherbergsverband ächten oder anprangern zu wollen. Vielmehr findet gerade die moderne, berufstätige, feministische Frau und Mutter - kurz, die geplagteste aller Kreaturen der Neuzeit, hier eine Nische des wahren Seins, der wirklichen und ehrlichen Verhältnisse. Die Jugendherberge ist ein geschützter Raum, denn hier gibt es keine Illusionen. Außerhalb dieses Raumes darf die Frau zwar Verträge unterschreiben und mit Gott und der Welt verhandeln, worüber sie möchte. Es nützt ihr nur nichts. Spätestens wenn die linksliberalen Schwiegereltern anrufen oder die Nachbarn zu Besuch kommen, ist die Ordnung wieder hergestellt: Man wird ihren Mann und Kindsvater auf die Krise in Mazedonien ansprechen, auf sein neues Projekt in der Firma und wie es mit der Karriere vorangeht, bittschön. Die Frau mag promoviert, erfolgreich und weltoffen danebensitzen - ihr fällt die Beantwortung der Frage zu, ob das Kind jetzt durchschläft und wieviel Zähne es schon hat. Sie wird sich glücklich schätzen, immerhin schon zu solch subtilen Themen befragt zu werden, wurde doch während der Schwangerschaft überhaupt nur eine Frage an sie gerichtet: Na, wann ist es denn soweit? Sie wird sich später auch kaum darüber wundern, daß sie zur Schwangerschaft zahlreichere und herzlichere Glückwünsche empfing als zur Habilitation - obwohl die Erlangung der ersteren eine Sache von fünf Minuten war, während sie für letztere zwanzig Jahre geschuftet hat. Nein, es wird sie nicht wundern noch verdrießen. Vielmehr wird sie Asyl beantragen - beim Deutschen Jugendherbergsverband. Den Vertrag freilich wird ihr Mann unterschreiben.

Ella Hummelsteg