Unterschrift

Ella Hummelsteg, auch die Else Kling von Stötteritz genannt, lebt inkognito in Leipzig, haßt Tiere und wäre gern alleinstehend. Ihre Hausfrauenphilosophie erschien wöchentlich in der Tageszeitung junge Welt und in der online Ausgabe der Leipziger Frauenzeitung EVENTuell. Hier gibts einige ihrer Werke. Auf eine Veröffentlichung aller Ella-Weisheiten wird die Fangemeinde jedoch noch ein wenig warten müssen.

 
 

Den Namen nicht nennen!

 

Jungs wollen immer Lokführer werden, Mädchen Friseuse. Ich wollte Schornsteinfeger oder Staatsratsvorsitzender werden, aber nicht alle Blütenträume reifen. Besonders bitter ist es, wenn ein junger Mensch am Ende Doktorand werden muß.
Nun könnte man ja annehmen, dies sei ein Zustand, der irgendwann zur Doktorreife führt. Denken die kleinen Spermien auch, wenn sie tatendurstig und pflichtbewußt gen Eizelle abpfeifen. Daß ein fröhlicher, pausbäckiger Sonnenschein dabei rauskommt. Wie viele ihr Ziel erreichen, ist bekannt. Und selbst, wenn's klappt, ist das Ergebnis in neunzig Prozent der Fälle ein schreieender Unsymphat. Zumindest ist aber der Spermie in jedem Fall die Zielstellung klar. Was man vom Doktoranden nicht behaupten kann. Doktor werden, klar. Das ist so wie: Hauptsache man bleibt gesund. Nein, etwas genauer möchte es der Doktorand schon haben. Da fangen die Probleme an. Er muß sich ein Thema ausdenken. Eines, wo er nicht ständig erklären muß, was er da macht und warum er nicht arbeiten geht wie ein anständiger Mensch. Wenn möglich sollte also niemand, einschließlich ihm selbst, das Thema verstehen. Interessieren tut es eh keinen. Das zeigt sich schon daran, daß alle, wenn die Sprache darauf kommt, immer ganz verlegen sagen "sehr interessant". Der Doktorand blickt dann gequält zur Seite, denn er weiß natürlich, daß es den Menschen schnurzpiepegal ist, ob die Paralypse endofiniert oder nicht.
Denen ist sogar egal, ob es sich dabei um Mathematik oder Erziehungswissenschaft handelt. Und so genau weiß er das ja auch nicht. Falls der Doktorand aber tatsächlich denkt, die Welt braucht ihn und sein Gegenüber eine detaillierte Einführung, hat er es nicht besser verdient, als ein trostloses Doktorandendasein zu führen. Doktoranden sind einsam. Das ginge ja noch an, dagegen gibt es Pillen. Aber einsam und nutzlos zugleich zu sein, ist selbst für einen Doktoranden ein bißchen viel. Deshalb sucht er die Gesellschaft von seinesgleichen. Der Witz ist: Der Doktorand denkt, er arbeitet, wenn er in die Bibliothek geht. Dort baut er 25 Bücher kunstvoll um sich auf und läßt kleine Gucklöcher, durch die er versonnen die anderen Doktoranden beobachtet. Nicht umsonst sagt man auch: "Ich geh in die Bibliothek, mal sehen, was los ist." oder "Heute muß ich zwei Stunden arbeiten, auch wenn es sechs Stunden dauert." Denn in der Tat ist schwer was los. Da wird geblickt, gewunken, getuschelt, rauchen gegangen, mal in den anderen Lesesaal gucken, ein kleiner Spaziergang durch den Katalog und jede halbe Stunde Kaffeetrinken. Da sitzen dann die Doktoranden blaß beisammen und frönen der eisernen und ersten Doktorandenregel: Nie über die Doktorarbeit reden!
Wer einen Doktoranden fragt "Und, was macht die Diss?", würde auch... Es ist wie in dem Märchen vom Störteufel. Da sitzen Bärchen Emanek, Tänzerin Belinde und Schornsteinfeger Mohr und flüstern immer "Den Namen nicht nennen!" Irgendwann sind sie mutig und rufen ganz laut "brumm, brumm, brumm, der Störteufel ist dumm!" Das würde freilich vom Doktoranden niemand behaupten, aber ähnlich mutig wäre es zu fragen, wozu die Doktorarbeit gut ist. Der Doktorand würde etwas erzählen von Wissenschaft (wer ist das, bitte?) und daß so etwas noch niemand gemacht hätte. Letzteres weiß er tatsächlich genau, denn nichts anderes liest er da die ganze Zeit: was Doktoranden vor ihm für Doktoranden nach ihnen geschrieben haben, und irgendwo dazwischen sucht er ein warmes Plätzchen für sich.
Im Grunde genommen ist es ein "Mensch ärgere dich nicht" für höhere Söhne und Töchter: Ein Feld finden, auf dem noch keiner steht, immer mal einen wegschubsen und sich an die Regeln halten. Da achtet die ganze Doktorandenbagage drauf. Wehe, einer schreibt nicht ordentlich im ersten Kapitel seine Fragestellung auf - was immer die auch sein mag. Das güldet nicht, ruft es dann von allen Seiten und klappert empört mit den Würfelchen.
Hübsch wäre, das ganze Spielbrett samt Figuren einfach zusammenzuklappen und zu entfernen. Ich wette, niemand würde sie vermissen. Nicht mal sie sich selbst. Denn auch sie trauen sich nicht, den Namen zu nennen. Ella Hummelsteg