Unterschrift

Ella Hummelsteg, auch die Else Kling von Stötteritz genannt, lebt inkognito in Leipzig, haßt Tiere und wäre gern alleinstehend. Ihre Hausfrauenphilosophie erschien wöchentlich in der Tageszeitung junge Welt und in der online Ausgabe der Leipziger Frauenzeitung EVENTuell. Hier gibts einige ihrer Werke. Auf eine Veröffentlichung aller Ella-Weisheiten wird die Fangemeinde jedoch noch ein wenig warten müssen.

 
 

Wo ist zu Hause, Großeltern?

 

Sie haben unser Leben zerstört, und deshalb haben wir es ihnen weggenommen. Oder wie schon Gundermann sang: "Die bemalte Kinderzimmertür fiel hinter uns zu." Hat aber nix genutzt, denn spätestens wenn man selbst Kinder hat, steht der Feind wieder auf der Schwelle, diesmal getarnt als Oma und Opa. Da hatte man sich mühevoll eine Art friedlicher Koexistenz erarbeitet: himmlische Ruhe das ganze Jahr über, nur unterbrochen durch 14-tägige Anrufe, bei denen man stets versicherte, daß es nichts neues gäbe, und dann natürlich Ostern, Weihnachten und vielleicht der 60. Geburtstag - gottlob immer Anlässe, wo es viel zu essen und zu trinken gab.
Jetzt aber erscheinen diese Menschen, mit denen man abgeschlossen hatte, gut gelaunt (waren sie uns gegenüber jemals gut gelaunt?) in der Tür, schieben Bobby Cars und Plüschtiere durch dieselbe und verkünden, sie blieben drei Tage, um das Enkelchen zu sehen. Grundgütiger! Wer hat so schlimme Sünden begangen, daß er sich zur Strafe drei Tage mit den eigenen Eltern unterhalten muß? Am Stück, wohlgemerkt.
Ja, die Eltern der anderen fand man immer cool. Irgendwie so nett und locker.Mit denen konnte man sogar Bier trinken gehen. Unverständlich, daß deren Kinder so mißgelaunt danebensaßen. Unvergessen aber der Schock, als die eigenen Eltern die Geburtstagsparty zum 30. erstürmten. "Überraschung!" Wie sie mit den Freunden lachten und scherzten. Wie man selbst griesgrämig und voll Weltschmerz in der Küche hockte. Und vor allem nüchtern. Da war man nun erwachsen, ja uralt, und saß immer noch im Kinderzimmer, symbolisch.
Eltern behalten immer einen Fuß in der Kinderzimmertür, die deshalb nie wirklich hinter uns zufliegen kann - so sehr wir auch damit knallen. Dann sitzen sie also bei uns auf dem Sofa und halten unseren Nachwuchs auf den Knien. Verdammt, haben die mit uns auch so geredet? So säuselnd? Mit so hohen Stimmchen? Muß sich das ein Enkel gefallen lassen, rein menschenrechtsmäßig betrachtet? Aber unsere Kinder entpuppen sich als Verräter, die eigentlich sofort enterbt gehören: Ihnen gefällt's.
Woher sollen sie auch wissen, was wahre Großeltern sind. Richtige Opas und vor allem Omas, wie wir sie noch kennenlernten? Bei denen man bis in die Puppen fernsehen durfte, während sie im Sessel schnarchten. Mit denen man einmal in den Ferien die Fischbratküche besuchte und hinterher die Eisdiele, die tatsächlich noch so hieß. Die am Sonntag einen ordentlichen Kuchen buken - mit guter Butter, versteht sich - und immer Angst hatten, daß die Kartoffeln zum Mittag nicht reichten. Aus deren Radio auf demKüchenbuffet ein Strauß bunter Melodien mit Siegfried Loyda ertönte. Die in einer unförmig-voluminösen, braunen Tasche ein Zellophankopftüchlein aufbewahrt hatten, das sie sich über den ondulierten Omakopf spannten, wenn?s regnete. Die am Zeugnistag ein Fünfmarkstück aus dem abgegriffenen Omaportemonnaie mit Aufschrift "Gruß aus Oberhof" klaubten.
Die heutigen Großeltern klauben nix, sie haben ein Konto eingerichtet (haben sie für uns je irgendwas eingerichtet?). Fernsehen lehnen sie ab und sind entsetzt, daß unsere Kinder Teletubbies gucken dürfen. Statt in die Fischbratküche geht?s zum Edel-Italiener, und Kuchen macht dick. Statt in die Eisdiele rennen sie in?s Fitness-Center und machen "Omm" im Yogakurs.
Ach, was sind das für Zeiten? Die einen wollen Großeltern sein, aber am liebsten ewig zwanzig bleiben. Die anderen werden um die Erfahrung volkstümlicher Weisen und den Geruch von Kampfereinreibung im Schlafzimmer gebracht. Die dritten aber - nämlich wir - müssen warten, bis sie's an den Enkeln rächen können. Denn soviel ist klar: im Vergleich zu unseren Eltern sind wir schon jetzt die besseren Rentner. Ella Hummelsteg